Pragmatisch, praktisch, gut?
Kurz und knackig: Die DFL hat in ihrer Sitzung am 11.12.2023 das Verhandlungs- und Abschlussmandat erhalten, um einen Private-Equity-Fond als Investor für die Modernisierung der Angebote und digitale Infrastruktur zu gewinnen. Abgestimmt hatten die Vertreter aller 36 Clubs aus der 1. und 2. Bundesliga, wobei die nötige 2/3-Mehrheit von 24 "Ja"-Stimmen gerade so erreicht wurde. Mit "Nein" stimmen 10 Clubs, die beiden übrigen Clubs enthielten sich der Stimme.
Der Deal umfasst ein Investitionsvolumen von ca. 0,8-1,0 Mrd. €, welches für die Laufzeit von 20 Jahren einmalig in die DFL eingebracht werden soll. Betont wird hierbei von Seiten der DFL, dass es sich nicht um eine direkte Beteiligung an der DFL handelt und diese weiterhin eigenständig agieren kann. Aktuell sind hier als mögliche Investoren Blackstone, EQT und CVC im Gespräch, so berichtete zumindest das Handelsblatt am 19.12.2023. Wenn wir uns den DFL-Deal als virtuelles Haushaltsbuch vorstellen machen wir mal den Taschenrechner auf:
Einnahmen durch DFL-Deal*:
+ 1.000.000.000 €
Kompensation für 8%-Ausschüttung an Investor*:
- 300.000.000 €
Restliche Investitionssumme die faktisch verwendet werden kann*:
700.000.000 €
Diese verteilt sich auf*:
100.000.000 € für die Unterstützung bei Auslandsreisen
164.000.000 € für den Aufbau einer digitalen Plattform
183.000.000 € für die Auslandsvermarktung
126.000.000 € für die Stärkung des deutschen Marktes durch div. Maßnahmen
65.000.000 € für virtuelle Werbung
8.000.000 € für die virtuelle Bundesliga
54.000.000 € Rücklage
*Alle Werte verstehen sich als Schätzwert auf Grund aktueller Veröffentlichungen Stand Dezember 2023.
Auch wenn die Zahlen vermutlich so nicht eintreffen werden und höher oder niedriger ausfallen können, wird dennoch klar, wie die Gewichtung der einzelnen Bereiche angesetzt werden soll. Aber wie kann man so einen Deal kritisch betrachten? Es kommt frisches Geld rein und die Ligen werden dadurch aufgewertet - doch stimmt das?
Das erste Geschmäckle gibt es, da die Wahl geheim durchgeführt wurde. Gerade in einem Business, indem man nahezu alle paar Monate über 50+1 diskutiert, sollte man doch meinen, dass die Nachverfolgbarkeit und Transparenz innerhalb und außerhalb der Vereine ein hohes Gut sein sollte. Den mehrheitlich getragenen Vorstoß geheim abzustimmen, sehe ich als klaren Angriff auf die Informations- und Transparenzgrundlagen, die für eine ordentliche Vereinspolitik nötig sind. Hier erwarte ich als Mitglied, dass der VfB Stuttgart als e.V. zeitnah Stellung bezieht und das Abstimmungsverhalten den Mitgliedern transparent erklärt. Jetzt kann man sagen: Buuh - Vereinspolitik, interessiert mich nicht - ok - fair enough.
Dann schauen wir uns den Deal doch einmal aus rein wirtschaftlicher Sicht an. Die oben genannten Beträge klingen nach wahnsinnig viel Geld, doch stimmt das wirklich? Nehmen wir doch Mal zwei Szenarien für den Block "Auslandsreisen" an:
Szenario 1: Alle DFL-Clubs sollen vermehrt im Ausland präsent sein, vor allem in den Wachstumsmärkten China, Japan und den USA. Hier zeigt sich schon, dass nicht alle Kinder im Schulbus auf den "coolen" Plätzen sitzen können. Während Dortmund und Bayern in einem ausverkauften Ajinomoto-Stadion in Tokio sicherlich Leute vor den Fernseher oder ins Stadion locken werden, könnten Wolfsburg und Hoffenheim vermutlich weniger Aufmerksamkeit erregen, da man ja schon Zuhause das Stadion nicht voll bekommt. Hier ist eben die Frage ob man aus vermeintlicher Solidarität das tote Pferd reitet.
Szenario 2: Es soll gezielt das Produkt Bundesliga im Ausland vermarktet werden. Dann wird hier eine massive Konzentration der Mittel auf die treibenden Kräfte aus München und Dortmund gelegt werden, gespickt mit einigen Traditionsclubs, die dann als Ein-Mann-Orchester durch die Welt gondeln und das Lokalkolorit beisteuern. Auch hier stellt sich die Frage, ob durch diese ungleiche Interessenslage nicht Verwerfungen entstehen, die für viele kleinere Vereine nachteilig sein können.
Wenn wir ehrlich sind, wird man in der noch nicht an Glasfaser angebundenen Serverzentrale in Heidenheim vermutlich keine Ausschläge im Online-Shop feststellen, wenn Tim Kleindienst Kyoto Sanga vor 20.000 Zuschauern mit 2:0 vom Platz gefegt hat. Gleichwohl profitieren hier die Kollegen aus München, Dortmund und Frankfurt sicherlich mehr.
Dass die angesetzten Investitionen ohne Ausnahme zu niedrig angesetzt sind, wird klar, wenn man die Beträge durch 20 Jahre und 36 Clubs aufteilt, auch, wenn wie oben beschrieben, dies in der Realität nicht so umgelegt werden wird:
138.888 € für die Unterstützung bei Auslandsreisen
227.777 € für den Aufbau einer digitalen Plattform
254.166 € für die Auslandsvermarktung
175.000 € für die Stärkung des deutschen Marktes durch div. Maßnahmen
90.277 € für virtuelle Werbung
11.111 € für die virtuelle Bundesliga
75.000 € Rücklage
972.219 € Investitionssumme pro Club und Jahr bei Gleichverteilung
Ich stelle jetzt Mal ganz provokativ und aus Sicht der VfB Stuttgart 1893 AG die Frage: Sollte sich ein Unternehmen, das für zukunftsweisende Investitionen nicht weniger als 1% des Umsatzes locker machen kann, andere Fragen stellen als "brauche ich einen Investor"?
Es hat sich in der Investoren-Debatte mehreres gezeigt:
- 50+1 ist dann interessant wenn man Fans und Mitglieder beruhigen muss, die Ausnahmen sind ja durchgewunken worden
- die Clubs gönnen sich gegenseitig nicht den Dreck unter den Fingernägeln, obwohl der Deal diesen Zusammenhalt voraussetzt
- das Votum oder die simple Meinung der Mitglieder spielt für Verantwortliche keine Rolle
- die Fans- und Mitglieder, die aktuell den größten Teil des Umsatzes bringen (durch Ihre Aufmerksamkeit, Merchandise, Tickets und Co.) werden nicht in den Mittelpunkt gestellt, obwohl noch nicht alle Potentiale ausgeschöpft sind
- eine alternative Finanzierung wurde laut der Verantwortlichen des SC Freiburg überhaupt nicht ernsthaft geprüft
Die Verantwortlichen sollten eines nicht vergessen: Ob das Produkt gekauft wird, entscheiden Individuen, es ist ein schmaler Grat diese zu vergraulen und dadurch nachhaltig als Verlierer aus der Sache rauszugehen. Gerade das immer als durchkommerzialisierte NFL-Entry in den europäischen Markt hat hier den Gegenbeweis angetreten und den Eintritt in den europäischen Markt erst dann richtig hinbekommen, wenn man nicht stumpf Geld reingepumpt hat, sondern strategisch vorgegangen ist.
Quellen, Stand 28.12.2023:
https://www.sportschau.de/fussball/bundesliga/bundesliga-dfl-investor-versammlung-100.html